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WW Dra - ein heller BAV-Programmstern mit vielen Problemen

Ralf Meyer

WW Dra = HD 150708 = BD+60 1691A = ADS 10152A = SAO 17176 ist die A-Komponente des visuellen Doppelsterns ADS 10152. Es handelt sich um ein getrenntes Bedeckungssternsystem vom Untertyp AR Lac / RS CVn. Dabei bedeutet AR Lac, daß zwei Unterriesen sich umkreisen und ihre Roche-Fläche nicht erreichen, RS CVn, daß sich dem eigentlichen Bedeckungslichtwechsel eine quasiperiodische Lichtschwankung überlagert. Die Amplitude dieses zusätzlichen Lichtwechsels beträgt bei RS CVn 0,20mag und bei WW Dra 0,10mag. Sie soll etwa synchron mit dem Bedeckungslichtwechsel laufen und große Sternflecken auf der kühlen Komponente zur Ursache haben. Der Stern gehört zum BAV-Standardprogramm, ist hell mit den Lichtwechselgrenzen 8,29mag und 9,49mag und hat eine Bedeckungsdauer von 13h ohne konstantes kleines Licht. Orte und weitere Daten entnehme man dem Anhang.

B-R-Kurve WW Dra

Nach der Lichtenknecker-Database ist WW Dra nur mäßig gut untersucht. Harwood entdeckte ihn 1916 auf Harvard-Platten und in den 30er-Jahren gewannen Zverev, Hoffmeister, Beyer und Kordylewski visuelle Lichtkurven. Die Literatur bezieht sich bis in die 70-er Jahre regelmäßig auf eine umfangreiche photographische Serie von Plaut aus den 30er-Jahren. 1976 liefern Italiener um Mardirossian die ersten lichtelektrischen Beobachtungen und modifizieren die alten Elementen von Plaut. In den Folgejahren bemühen sich überwiegend Schweizer Amateure um den Stern. Ihre mit vielen Unsicherheitshinweisen versehene Punktwolke folgt ängstlich den beiden Linien, die Plaut und Mardirossian vorgaben und ich gehe nachträglich von einigen Ephemeridenschätzungen aus. 1980 deckt nämlich eine lichtelektrische Beobachtung von Tunca auf, daß der Stern cirka 1973 eine Periodenverlängerung durchmachte. Diese war den italienischen Profis genauso entgangen wie den Schweizer Amateuren. Nach 1980 tröpfeln einzelne, teils lichtelektrische Beobachtungen herein. Der Beitrag der BAV besteht aus 10 visuellen Beobachtungen, lichtelektrische fehlen. Tuncas Elemente gelten bis heute und lauten

Min1: JD (24)41918,4994 + 4,6297444 * E (IBVS 2040, SAC57ff. und Zirkular 2003).

Bevor mir Lichtkurven gelangen, mußte ich Anfangshindernisse überwinden. Das Sternfeld ist schlecht besetzt mit Vergleichssternen. Der Halbreguläre TX Dra steht in der Nähe und scheidet aus. Die obere Kulmination des Sterns in Nähe der Nachtmitte gibt es im Hochsommer, dann sind aber die Nächte zu kurz, um den langsamen Lichtwechsel auszusitzen. Bei meinen Versuchen in den langen Nächten des Winterhalbjahrs, wenn der Stern tief im Norden steht, erschien die Helligkeit auch außerhalb des Minimums immer wieder anders und zwang mich zur Umstellung der Sequenz. Bei Beobachtungen in geringer Höhe macht sich atmosphärische Extinktion bemerkbar, die neben der Höhe von der Wellenlängenverteilung des Sternlichts abhängt. Gewohnte Sequenzen von Sternen verschiedener Färbung können kippen. Wenn man ihn nicht trennen kann oder will, hat der enge Begleiter der Größe 9,67mag im Abstand von 8 Bogensekunden eine gemeinschaftliche Lichtschwankung verminderter Amplitude zur Folge. Die Helligkeit des Gesamtsystems mit Begleiter schwankt dann nur noch zwischen 8,02mag und 8,82mag. Die visuellen BAV-Beobachter der 60er- und 70er-Jahre versuchten, den Begleiter durch hohe Vergrößerung zu trennen und als einzigen Vergleichsstern zu verwenden. Meine Daten streuen beträchtlich und ich kann mir vorstellen, daß neben den geschilderten technischen Problemen die intrinsischen Lichtschwankungen des Systems WW Dra in nicht reproduzierbarer Weise ihren Teil dazu beitragen.

Mit Bedeckungssternen vom RS-CVn-Typ beschäftigen sich die Fachastronomen seit etwa 1965 intensiv (Eaton, Hall, Popper u.v.a.) und die BAV nahm einige Vertreter in ihre Programme auf. Der photometrische Zyklus, d.h. die schwankende Helligkeit außerhalb des Minimums, Emissionslinien im Spektrum und überschüssige Röntgenstrahlung boten neuartige Informationen über die Sternoberfläche. Die Chromosphären von RS-CVn-Sternen sollen aktiv mit ausgedehnten Coronen, die Photosphären tief konvektiv sein. Obwohl sie getrennte Systeme sind, wechseln sie häufig und kräftig ihre Perioden. Die Fachastronomen wollen dieses volatile Periodenverhalten mit den üblichen Mechanismen der Massenverlagerung nicht erklären und vermuten, die Periodensprünge seien eine Folge von drehmomentkonservativen Eigenschaften der starken Magnetfelder ("spin orbit coupling"). Dieser Theorie hat man auch widersprochen und sie ist bisher nicht empirisch belegt.

Außer der von Mardirossian fand ich keine fachastronomische Arbeit, die sich alleine mit WW Dra beschäftigt. D.M. Popper bestimmte für WW Dra und 7 weitere Sterne mit H- und K-Emissionslinien des CaII zahlreiche physikalische und geometrische Eigenschaften. D.B. Caton analysierte die photometrischen Zyklen von 14 Sternen des Typs RS CVn. Aus banalen (geographischen, meteorologischen) Gründen konnte er von WW Dra nicht genügend Daten sammeln. In anderen Arbeiten taucht unser Stern in Zusammenstellungen auf oder dient als Illustrationsobjekt, um eine theoretische Aussage über aktive Chromosphären zu untermauern. Van Buren et.al. berechnen für WW Dra eine kurze Synchronisationszeit, so daß er ein Kandidat für Periodensprünge wäre. Die Autoren erwähnen nicht, daß WW Dra bei Drucklegung ihrer Arbeit seinen vorhergesagten Periodensprung schon 10 Jahre hinter sich hatte. Die Vorgänge um die Element-Neuformulierung in den späten Siebziger-Jahren zeigen erneut die schlimmen Folgen unkritischen Vertrauens in professionelle Daten. Wenn sich Stern und Zeit verschwören, helfen alle technischen Schikanen einer Ausrüstung nichts und ein fachastronomisches Team erkennt eine frische Periodenverlängerung nicht.

WW Dra ist ein interessanter, problematischer Stern und gehört intensiver beobachtet als bislang. Neben der häufigeren Ableitungen von Minimumszeiten könnten sich die CCD-ler die photometrischen Zyklen vorknöpfen. Ich vermute, daß diese durchaus in der methodischen Reichweite heutiger Amateurapparaturen liegen.

Abgeschlossen 2003 Ende April.

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