Rundbrief Verzeichnis

Der BAV-Programmstern: VW Pegasi

 

Ein Erfahrungsbericht über die Klärung eines rätselhaften Falles

 

(Kurzfassung des Vortrags auf der BAV Tagung in Sonneberg, September 2000 für den BAV Rundbrief 4/2000)

 

Dieter Husar

 

 

Die kürzlich erschienene Veröffentlichung über VW Pegasi im IBVS 4916 [1] wird als BAV Mitteilung Nr. 129 zusammen mit dem BAV Rundbrief 4/2000 verteilt. Wie schon im Vortrag soll im Folgenden insbesondere über die spezielle Auswertemethodik berichtet werden, welche nicht ohne weiteres aus der Veröffentlichung zu ersehen ist. Im Verlauf dieses Artikels wird mehrfach auf die Abbildungen und Tabellen der IBVS-Veröffentlichung verwiesen. Anders als im Vortrag müssen an dieser Stelle aus Platzgründen alle Ausführungen über Hilfsmittel zur Beobachtungsplanung, zur Leistungsfähigkeit der heutigen CCD-Technologie und über CCD-Beobachtungstechniken bei widrigen Beobachtungsbedingungen, sowie über das Vorgehen bei Literaturrecherchen im Internet entfallen.

 

 

Historie

VW Pegasi wurde von dem englischen Amateur A. Stanley Williams auf Photoplatten des Jahres 1901 entdeckt und zusammen mit visuellen Beobachtungen aus den Jahren 1904-1907 im Jahre 1914 veröffentlicht [4]. Williams gab eine Periode von P=5.26792 Tagen an. Danach versuchten sich verschiedene Autoren an der Feststellung der Periode. Gehandelt wurden Perioden von 2.642758, sowie 2.341295 und 1.170648 Tagen [3]. Zuvor hatte Zinner in den Astronomischen Abhandlungen [5] sogar die Ansicht vertreten, der Stern sei vielleicht ein ß Lyrae Stern, da die Helligkeit ununterbrochen schwanke. Sehr viel später wurde VW Pegasi ein Programmstern im Programm 82 der BAV und musste schließlich - als immer noch unklarer Fall - in das Programm 2000 übernommen werden. Als Michael Dahm 1996 im BAV Rundbrief [2] eine interessante Zusammenfassung der veröffentlichten Daten brachte, war jedoch noch kein Minimum beobachtet worden. Herr Dahm äußerte aufgrund eigener Negativ-Beobachtungen sogar die Vermutung VW Pegasi könnte sich als Karteileiche entpuppen. All diese widersprüchlichen Ergebnisse fand ich sehr spannend - nun wollte ich in diesem „Veränderlichen-Fall“ ermitteln.

 

 

Zusammenarbeit

Zunächst lernte ich durch das gemeinsame Interesse an VW Pegasi Dr. Herbert Achterberg kennen. Eine fruchtbare Zusammenarbeit entfaltete sich auch zwischen Bayern und Hamburg: mit Peter Frank aus Velden, der zahlreiche Beobachtungen an VW Pegasi durchführte (darunter das erste vollständige CCD Minimum an VW Pegasi). Infolge mußten einige Schwierigkeiten aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Instrumentarien (Teleskope, Kameras: SBIG-ST6 / SBIG-ST7 / OES) überwunden werden. Besonders gefreut hat mich die Bereitschaft zur internationalen Kooperation. Beispielsweise sandte Jerzy Kreiner aus Krakau unveröffentlichte visuelle Beobachtungen seiner Krakauer Kollegen nach einer Kontaktaufnahme per E-Mail.

 

 

Auswertung

Von VW Pegasi gab es auch nach 3 Jahren intensiver Beobachtungstätigkeit – insgesamt weit über 5000 Einzelmessungen – aufgrund der langen Periode, der langen Bedeckungsdauer, aber auch wetterbedingt überwiegend unvollständig beobachtete Minima. Ich sah mich daher vor die Aufgabe gestellt, diese zu nutzen. Nachdem erkannt war, daß die beobachteten Minima leichte Unterschiede aufwiesen, konnte diese Erkenntnis systematisch eingesetzt werden.

Die verwendete „Extrapolations-Methode“ zur Bestimmung der Minimumzeiten von unvollständig beobachteten Minima beruht darauf, zunächst eine Art „Normal-Lichtkurve“ mittels der vollständig beobachteten Minima zu erstellen. Mit diesen Kurven kann dann durch Minimierung der quadratischen Abweichungen (Methode der kleinsten Fehlerquadrate) zwischen Meßwerten und „Normal-Lichtkurve“ die beste Überlappung festgestellt werden. Die mit der Anzahl der Meßpunkte normierte Summe der quadratischen Abweichungen der Meßwerte von der Fitkurve ergibt den Wert CHI-Quadrat C2:

 


 

 


In der hier gegebenen Definition ist: n die Anzahl der Messwerte; die xi sind die Messwerte, die pi die entsprechenden Werte der Fitkurve und si die Messfehler.

 

Aufgrund der Unterschiede von C2 für die verschiedenen optimierten Fitkurven der beiden Mimimumtypen lässt sich meistens zwischen den beiden Minimumtypen unterscheiden. Dies ist aus den Abb. 1 und 2 zu erkennen.

 

 

 

Abb.1: Normal-Lichtkurve Minimum I

(Normale Messwert-Streuung im absteigenden Teil, später Bewölkung

 

 

Abb.2: Normal-Lichtkurve Minimum II (Statistik weniger gut, da nur 10 sec belichtet)

 

Beide annähernd vollständig beobachteten Minima in Abb.1 und 2 sind jeweils mit ihrer optimalen Fitkurve (durchgezogene Linie) und der Fitkurve (punktiert) des anderen Minimumtyps dargestellt (Fit: Polynome 8.-14. Grades). Der Wert für C2 steht im Textfeld der Abbildung.

 

In den folgenden Abbildungen finden sich 3 Beispiele für Anpassungen der Normal-Kurven an Teilbeobachtungen von Minima.

 

 


Abb.3: Beispiel für ein Min I - VW Peg (16. Beobachtung am 19./20. August 1998)

 

 



Abb.4: Beispiel für ein Min I - VW Peg (25. Beobachtung am 20./21. Mai 1999)

 

 



Abb.5: Beispiel für ein Min II - VW Peg (14. Beobachtung am 04./05. August 1998)

 

 


Eine wesentliche Voraussetzung für die Verwendung von Normal-Lichtkurven als Fitkurven zur Extrapolation ist natürlich die Konstanz der Lichtkurve über den Beobachtungszeitraum; dies trifft bei VW Peg glücklicherweise zu.

Weitere Voraussetzungen sind natürlich auch reproduzierbare und vergleichbar reduzierte Beobachtungsergebnisse. Bei einer Relativ-Photometrie in instrumentellen photometrischen Einheiten müssen selbstverständlich die selben Vergleichsterne verwendet werden und der Linearitätsbereich muss unbedingt eingehalten werden. Die instrumentellen Bedingungen (Öffnung, Brennweite, Filterung) sollten sich im Beobachtungszeitraum möglichst nicht verändern.

 

 

Ergebnisse

Wir hatten nun eine Methode gefunden, um auch die nur teilweise beobachteten Minima auszuwerten und konnten mit dieser Methode schließlich sogar die gut dokumentierten visuellen Minima von Williams und aus Krakau neu analysieren.

Von VW Pegasi wurden 17 neue Minimumzeiten an 11 verschiedenen Minima bestimmt – ich verweise an dieser Stelle auf die Table 1 aus dem IBVS [1]. Erwähnenswert ist sicher auch, dass wir mit der Extrapolations-Methode aus dem Datenmaterial von Williams aus dem Jahre 1914 zwei Nebenminima extrahieren konnten, die von Williams nur teilweise beobachtet waren. Diese hatte er vermutlich deswegen ignoriert, weil sie nicht in seine Perioden-Hypothese der primären Minima passten. Es wird vielleicht Erstaunen auslösen, wenn man sieht wie klein die Fehler sind (wenige Minuten), die wir mit der Extrapolationsmethode erzielten konnten. An der Anzahl der extrapolierten Minima ist erkennbar, welche Bereicherung die Extrapolations-Methode darstellt.

Von größter Bedeutung waren die Negativ-Beobachtungen - auch wenn es zunächst unbefriedigend erscheint, wenn man das Minimum nicht erwischt hat. Ohne die Negativ-Beobachtungen wäre eine Periodenbestimmung höchst spekulativ geblieben. Die Tabelle der CCD Negativ-Beobachtungen wurde im IBVS „elektronisch“ veröffentlicht, d.h. diese ist in der ausgedruckten Variante der IBVS-Veröffentlichung nicht enthalten, aber über das Internet abrufbar (http://www.konkoly.hu/IBVS/IBVS.html).

Die Auswertung war natürlich ein monatelanger iterativer Prozeß - immer wieder ergänzt durch erneute Beobachtungen. Im Wesentlichen haben wir aber zunächst die eigenen CCD-Beobachtungen zugrunde gelegt - sowohl die Minima, als auch die Negativbeobachtungen. Mit einem Rechenprogramm namens Analyse1 (Programmierung: Dr. Achterberg) konnte nach möglichen Perioden gesucht werden, die mit den positiven und negativen Beobachtungen in Einklang sind. Da der gesamte Phasenraum bereits durch die CCD-Beobachtungen und zusätzlich noch durch die vielen visuellen Schätzungen meist mehrfach abgedeckt ist, war das folgende Ergebnis eindeutig.

 

Die Periode von VW Pegasi wurde für Minimum I und II getrennt gerechnet:

 

Min I  = HJD 2450708.5645 + 21.0717511 x E

     ±.0007      ±.0000013

 

Min II = HJD 2450714.2837 + 21.0717458 x E

     ±.0005      ±.0000017

 

Man sieht, daß die beiden Perioden leicht voneinander abweichen. Die Differenz der Perioden ist aber lediglich 2,5 mal so groß, wie die Fehler-Summe der Periodenbestimmung. Ein größerer Unterschied der Perioden wäre ein signifikanter Hinweis auf eine langsame Apsidendrehung, die wir leider aber mit unserem Datenmaterial somit NOCH NICHT nachweisen konnten. Das müssen jetzt die nächsten Jahre (oder Jahrzehnte) ergeben.

Interessant ist auch die Feststellung, daß alle früher veröffentlichten Perioden mit den jetzt gefundenen Perioden in einem ganzzahligem Verhältnis stehen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß die nunmehr nachgewiesene Periode sich nahezu mit einer Vermutung von BAV-Mitglied Bernd-Christoph Kämper aus dem Jahr 1994 deckt. Zu einem eindeutigen Nachweis reichten damals die Beobachtungsdaten allerdings nicht aus . Man kann heute rückblickend sagen, dass diese Vermutung nicht auf fruchtbaren Boden fiel. Das mag vielleicht seinen Grund darin haben, dass der Unterschied in der Periode gegenüber allen früher veröffentlichten Daten extrem groß war, womit die Aussage daher zunächst unglaubwürdig erschien.

Abschließend empfehle ich noch einen Blick auf die reduzierten Lichtkurven, die im beigefügten IBVS [1] abgebildet sind (Fig. 1 und 2). Die Lichtkurven unterscheiden sich in der Tiefe und in der Bedeckungsdauer (D1=5.3 h im primären und D2=7.2 h im sekundären Minimum). Bereiche konstanter Helligkeit in den Minima konnten wir nicht beobachten. Hier sind jedoch weitere – genauere – Messungen sinnvoll und erwünscht.

Alle CCD-Messungen zusammengefasst, ergibt die im IBVS [1] abgebildete Gesamt-Lichtkurve (Fig. 3). Die im Vergleich zur langen Periode relativ kurze Bedeckungsdauer (von ca. 1%, bzw. 1.4% der Periode) ist gut erkennbar. Die Periode beträgt ziemlich genau das 18-fache des Werts aus dem BAV Circular. Beides zusammen erklärt nun so manchen Frust bei früheren Beobachtungsversuchen an VW Peg. Die visuellen Beobachtungen sind in der Gesamt-Lichtkurve nicht eingetragen, da deren Streuungen doch mit ca. ± 0.15 mag erheblich sind. Wir haben übrigens die Berechnung der Periode zunächst ohne und dann auch mit Einbeziehnung der visuellen Beobachtungen durchgeführt und sind zu den gleichen Ergebnissen innerhalb der angegebenen Fehler gelangt.

Die Asymmetrie der Lichtkurve mit dem Nebenminimum bei Phase 0.27141 ± 0.00004 weist auf eine starke Exzentrizität (numerische Exzentrizität e=0.39 ± 0.02) hin.

 

 

Erwünschte zukünftige Aktivitäten

Was könnte nun für die folgenden Jahre weiter auf dem Programm stehen?

Eine lohnenswerte Aufgabe wäre beispielsweise die Photometrie im UBVRI-System; letztlich mit dem Ziel der Ermittlung der physikalischen Parameter (Massen, Sternradien, Oberflächentemperaturen, Randverdunkelung), oder vielleicht auch die Aufnahme eines Sternspektrums und natürlich gelegentlich auch die Beobachtung (kompletter) Minima mit möglichst genauer Bestimmung der Minimumzeit zur Entscheidung über die offene Frage der Apsidendrehung. Hierzu können auch visuelle Minima betragen! Bezüglich der Auswertung dieser Minima können Sie mich dann gerne ansprechen.

 

 

Literatur (Auswahl):

[1] Achterberg, H., Frank, P., Husar, D.: IBVS, No. 4913 (BAV Mitt. 129)

[2] Dahm, M., 1996, BAV Rundbrief, 45, 164

[3] Dworak, T.Z., 1976, IBVS, No. 1192

[4] Williams, A.S., 1914, MNRAS, 74, 215

[5] Zinner, E., 1922, Astr. Abh. Erghefte zu AN, 4, No.3

 

 

Adresse des Autors: Dr. Dieter Husar, Himmelsmoor 18, D-22397 Hamburg, e-mail: husar.d@gmx.de



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